18.11.2018 Totentanz

KAMMERCHOR ROSENHEIM

Totentanz: VON HUGO DISTLER

HENRY PURCELL: FUNERAL MUSIC OF QUEEN MARY

 

FLÖTE: ALICE GUINET

SPRECHER: STEFAN HANUS

MAGDALENA SCHMIDMAYER

ALOIS SCHMIDMAYER, HANS NEUMAYER

 

TROPO-BLÄSERQUARTETT

PAUKE: FRANZ LANG

CONTINUO: BRIGITTA GARTNER; ANDREAS SCHUCH

 

LEITUNG: KONRAD HEIMBECK

SONNTAG, 18.11.2018

17 UHR, NIKOLAUS-KIRCHE ROSENHEIM

Zum Erschauern schön

Rosenheim – Konrad Heimbeck mit seinem Rosenheimer Kammerchor hat immer die passende Musik für den liturgisch passenden Zeitpunkt: Diesmal war es, passend für den Totenmonat November und auch passend für das Thema Sterben im Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek, die „Funeral Music of Queen Mary“ von Henry Purcell (1659 bis 1695) und der „Totentanz“ von Hugo Distler (1908 bis 1942).

Noch passender, geradezu überwältigend in der Wirkung, war die Theatralik dieser Aufführung in der gut gefüllten Nikolauskirche.

Der Chor stand wie immer vor seiner akustisch Halt gebenden Holzwand. Unsichtbar dahinter aber war das Tropo-Bläserquartett mit dem Pauker Franz Lang postiert. Wie aus dem Totenreich klangen die düsterstrahlenden Bläserakkorde der die Funeral Music gliedernden Märsche, wozu die Paukentöne dumpfdonnernd durch die Kirche rollten: Es war zum Erschauern schön. Normalerweise waren Pauken und Trompeten nur den Majestäten wie Queen Mary vorbehalten – hier galten sie der Majestät des Todes. Die leis schwebenden Frauen- und tiefwarmen Männerstimmen betonten mehr den Trost als die Trauer, mehr die Erhabenheit als die Unerbittlichkeit des Todes, die eigentlich in den Schärfen der dissonanten Akkorde läge. Die Theatralik setzte sich fort beim „Totentanz“. Der Tod, in Person von Stefan Hanus, stand links verborgen und schickte von dort seine Devise: „Heut heißt’s: Nach meiner Pfeife tanzen!“ Rechts verborgen stand die Flötistin Alice Guinet und lockte in immer neuen Variationen des Liedes „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod“ mit ätherisch-verführerischen Klängen in das Totenreich – oder das Paradies. Das Continuo mit Brigitta Gartner und Andreas Schuch gab das sichere Fundament. Hans Neumayer, Alois Schmidmayer und ganz tief berührend Magdalena Schmidmayer sprachen schlicht bewegend die vom Tod gerufenen zwölf Personen jedes Standes.

Dieser „Totentanz“ ist ein Kristallisationspunkt der gesamten Kulturgeschichte: Angeregt wurde Hugo Distler bildnerisch von dem 1463 gemalten Totentanz in der Marienkirche Lübeck, wo Distler als Kantor amtierte, und musikalisch von den „Sprüchen von Leben und Tod“ von Leonhard Lechner (um 1553 bis 1606), der vor allem in Nürnberg wirkte, wo Distler geboren wurde. In die von Johannes Klöcking verfassten, der mittelalterlichen Sprache angepassten Dialogtexte verwob Distler 14 der barock-antithetisch angelegten Sprüche aus dem „Cherubinischen Wandersmann“ von Angelus Silesius (1624 bis 1677). Es vermischen sich also Dichtung, Malerei und Musik, Mittelalter und Barock, Norden und Süden, drastischer Katholizismus und vergeistigter Protestantismus zu einem theatralischen Gesamtkunstwerk – und wenn man noch dazurechnet, dass der gemalte Totentanz in einer Bombennacht vor dem Palmsonntag 1942 verbrannte, mischt sich auch noch die tragische jüngste Geschichte darein.

Der Reiz der Distler’schen Musik liegt in ihrer durchsichtigen seraphischen Klangschönheit, ihrer auf künstliche Übersteigerungen und Effekte verzichtenden Originalität sowie in der so deutlichen Verschmelzung von Deklamatorik und Stimmbehandlung der Sprache. Konrad Heimbeck lag nicht so sehr die Schärfe der Chromatik und Rhythmik, sondern vor allem diese „seraphische Klangschönheit“ am Herzen – auch wenn man ganz am Anfang beim heikel freischwebenden Einsatz der Frauenstimmen um diese fürchten musste. Aber mit der später gewonnenen Sicherheit wiegte der Chor sich geradezu wohlig in der feinen Herbheit dieser Tonsprache und ließ durchaus die angesprochene Deklamatorik-Kunst sprechen: Da hörte man im Siebten Spruch, beim Landsknecht, durchaus die Chorphrasen wie Schwerthiebe heruntersausen, dafür flossen gleich darauf ruhige Akkorde dahin, den ersehnten Frieden klanglich malend. Da hörte man die Dornen „g’nugsam stechen“ in sich wiederholenden Tonfolgen in kurzen Tonabständen. Und da hörte man, wenn gesagt wird, wie verwunderlich doch die Weltliebe sein, die Musik sich selbstvergessen weltselig drehen, als wenn einer sich vor dem Spiegel eitel drehen würde.

Wie eine Erlösung aus der Drastik des Totentanzes, wie ein Heilsversprechen erklang dann direkt darauf die Motette „Selig sind die Toten“ von Heinrich Schütz (1585 bis 1672) in sattweichem Chorklang.

Rainer W. Janka